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Charakter-Rigging
Jeder gute Animationsfilm steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit seiner Darsteller
oder Charaktere. Sie sind der Mittelpunkt der Geschichte und treiben sie voran. Als
Charakter, oder besser englisch: Character, bezeichnet man in der Animationswelt
alle Objekte mit einer Persönlichkeit. Das muss nicht zwingend ein Mensch, Tier
oder Alien sein. Die Charakteranimation teilt sich dabei in zwei wesentliche Berei-
che: das Rigging und die Animation selbst. Ein gutes Charakter-Rig ermöglicht es
dem Animator überhaupt erst, seine kreativen Ideen umzusetzen. In Animations-
filmstudios sind beide Bereiche meist getrennt. Dem Animator ist es deshalb oft
ziemlich egal, wie das Rig aufgebaut ist, Hauptsache, es arbeitet seinen Wünschen
entsprechend. Schließlich ist er ja Künstler. Das Rigging aber ist ein sehr komple-
xer, technischer Prozess, der zudem oft noch teilweise programmiert wird. Hier
prallen also zwei Welten aufeinander.
Wir werden uns in diesem Kapitel hauptsächlich mit dem technischen Teil der Cha-
rakteranimation beschäftigen, also dem Rig und seinen Animationskontrollen. Alle
für die Arbeit benötigten Funktionen und Befehle finden Sie im C
HARAKTER-Menü.
Sie werden die meisten davon gleich kennenlernen, allerdings gehören fast alle
zum wesentlichsten Teil des Charakter-Riggens: den Joints.
7.1 Joints
Dreh- und Angelpunkt jedes Rigs sind die Joints, oder zu Deutsch: Gelenke. Genau
wie bei lebenden Wesen werden mit ihnen die einzelnen Teile des Charakters
Kapitel
Kapitel 7
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CHARAKTER-RIGGING
bewegt. Jedem Joint wird dabei der entsprechende Teil der Oberfläche des Charak-
ters zugewiesen und so von ihm mitbewegt.
Um die Arbeitsweise der Joints richtig zu verstehen, bedarf es einiger grundlegen-
der Kenntnisse. Bei der Animation von Charakteren, die aus mehreren Gliedern
bestehen, unterscheiden wir zwei grundverschiedene Methoden:
1. Die Figur besteht wirklich aus einzelnen Gliedern. Dann werden diese Glieder
wie Ketten aneinandergehängt und dann mit der Forward Kinematik einzeln
oder mit der Inverse Kinematik als ganze Kette animiert. Die Gelenke werden
dabei durch die Position der Objekt-Achsen der einzelnen Teile bestimmt. Der
Nachteil liegt klar auf der Hand. Diese Methode ist natürlich nur für entspre-
chende Figuren wie Roboter oder Pinocchio geeignet.
2. Die Figur besitzt eine durchgehende, organische Oberfläche, also eine Haut.
Wie in Wirklichkeit darf diese bei der Animation natürlich nicht an den Gelenken
getrennt werden. Und ebenfalls wie in der Wirklichkeit versieht man diese Cha-
raktere einfach mit einem Skelett. Ein Skelett besteht aus Knochen, im Engli-
schen Bones. Bones (ein ehemaliger Deformer) waren früher die Methode der
Charakter-Animation. Sie werden heute durch die Joints ersetzt. Joints erlauben
gegenüber den Bones eine wesentlich bessere Kontrolle. Auch die Joints wer-
den mit der Forward Kinematik einzeln oder mit der Inverse Kinematik als ganze
Kette animiert. Jedem Joint ist dabei aber ein Teil der Oberfläche des Polygon-
Objekts, also der Haut zugeordnet, das bei deren Bewegung mitverformt wird.
Abbildung 7.1
Abbildung 7.1
Joint-Rig einer Hand
Auch für die Art und Weise, wie die einzelnen Glieder nun bewegt werden, unab-
hängig davon, ob es sich um Objekt- oder Joint-Ketten handelt, unterscheiden wir
zwei grundsätzliche Methoden:
1. Die einfache Kinematik, oder Forward Kinematik (FK), ist die simpelste
Methode der Charakter-Animation. Sie bezeichnet aber nicht den Aufbau der zu

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